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JUNI 2022

1. Einleitung und frühere Erkenntnisse

„Unzählige Untersuchungen und Studien haben stets dasselbe Ergebnis: Werbung im Fernsehen und anderswo nervt gewaltig – egal ob als Blockwerbung oder Unterbrecherwerbung. Aber absolut gar nichts stört so sehr wie Unterbrecherwerbung mitten im Film.“ (Koschnik, 2018).

71 Prozent nervt Fernsehwerbung (Schlosser, 2007), sogar 80 bis 90 Prozent der Fernsehzuschauer zappen Werbung immer oder oft weg (Koschnik, 2018). Gerade mal ein bis zwei Prozent finden Fernsehwerbung attraktiv: eine Minderheit.

Über die Antwort auf die Frage nach der Effizienz von Werbeunterbrechungen in spannenden Filmen herrscht in der Literatur Uneinigkeit. Nach der Erregungs-Übertragungs- Hypothese („Excitationtransfer“) geht man davon aus, dass sich die durch die Spannung im Film ausgelöste (physiologische) Erregung auf die Aufmerksamkeit gegenüber den nachfolgenden Spots positiv auswirkt und eine emotionale Wahrnehmung unterstützt. Von Vertretern der Kontrasthypothese hingegen wird angenommen, dass die starke emotionale Inanspruchnahme der Zuschauer durch die zuvor gesehenen spannenden Inhalte die Aufmerksamkeit gegenüber der nachfolgenden Werbung sowie deren kognitive Verarbeitung absorbiere. Die Autoren (Friederichsen & Jenzowsky, 1999) entwickeln ein Drei-Phasen-Modell, das unterschiedliche Wirkungen des spannenden Kontextes zu verschiedenen (zeitlich definierbaren) Phasen des Werbeblocks annimmt.

Erste Phase: In den ersten zwei Minuten des Werbeblocks kommt es mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Absorptionswirkung, da die Zuschauer, die noch mit der Verarbeitung des gerade gesehenen spannenden Inhalts beschäftigt sind, kognitiv nicht mehr ausreichend aufnahmefähig sind. Dies würde nahelegen, der Werbespot mit „unwichtigen“ einleitenden Inhalten zu beginnen.

In der zweiten Phase (2 bis 4 Minuten) setzt der Effekt des Erregungstransfers ein, der zu einer Verstärkung der durch die Werbeinhalte vermittelten Emotionalisierung führt. Die Zuschauer sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit der kognitiven Verarbeitung des Filminhalts beschäftigt. Hier müsste demnach ein erhöhtes Arousal messbar sein.

Dauert der Werbeblock länger als vier Minuten, so wird für diese Phase eine Wirkungslosigkeit des spannenden Kontextes angenommen (Gleich, 2000).

„Emotionsmessung mit dem Tawny-Tool.“

2. Wirkung von Werbeunterbrechung gemessen mit dem TAWNY-TOOL

Die Studie, über die im Folgenden berichtet wird, stellt sich erneut der Frage, welche Wirkung Werbeunterbrechung während des Rezipierens eines Action-Trailers auf Valenz und Arousal sowie Emotionen der Rezipienten hat. Allerdings gibt es eine entscheidende methodische Weiterentwicklung: Valenz, Arousal und Emotionen der Probanden werden durchgehend mit dem TAWNY-Emotionserkennungstool getrackt.

33 ProbandInnen, geteilt in zwei Versuchsgruppen, schauten einen John-Wick-Action-Trailer. Bei Gruppe 1 („AD-Gruppe“) wurde der Action-Trailer mit einem Baumarkt-Werbespot unterbrochen, während Gruppe 2 („No-Ad“) den Trailer ohne Werbeunterbrechung konsumierte. Davon waren 11 Probanden männlich. Der Baumarkt- Werbespot war ein Spot des Unternehmens Hornbach.

Während der gesamten Zeit wurden die Variablen

Valenz („The dimension called valence thereby describes how negative or positive a certain state is. It is a continuous scale from -1.0 (very unpleasant/negative) to +1.0 (very pleasant/positive)“)

und Arousal (Arousal is the second component of the V/A space. It describes the level of activation of the subject, from -1.0 (very inactive / powerless) to +1.0 (very active / excited))

sowie diverse
Emotionen in einem Kontinuum mit jeweils der Auftretenswahrscheinlichkeit in einer gegebenen Sekunde. Dabei reicht die Skala von 0.00 – 1 (also 0% – 100%). (z.B. Happiness-Sadness).
Diese Variablen wurden gemittelt über die drei Messzeitpunkte „Baseline“ (vor Beginn der Medienrezeption), „Pre“ (vor Beginn der Werbeunterbrechung) und „Post“ (nach der Werbeunterbrechung) und inferenzstatistisch verglichen.

 

Abb. 1: Probandin schaut Trailer während TAWNY-Tool aktiv ist

Zu Beginn der Studie und am Ende wurden Fragebogendaten zur selbsteingeschätzten Stimmung erfasst sowie soziodemografische Daten.

Folgende Hypothesen werden im Ergebnisteil nacheinander geprüft:

a) Die Werbeunterbrechung erzeugt in der post-Ad-Phase höhere Mittelwerte für Arousal als in der Baseline (nur Ad-Gruppe betrachtet)
Arousal ist der Grad der Aktivierung des ZNS. Angenommen wird in Anlehnung an die Erregungs-Übertragungs-Hypothese (s.o.), dass der Werbetrailer aktivierend wirkt und somit ein höher Aktivierungsgrad als in der Baseline gemessen werden kann.

b) Die Werbeunterbrechung erzeugt in der post-Ad-Phase höhere Mittelwerte für Arousal bei der Ad-Gruppe als bei der No-Ad-Gruppe.
Um zu verifizieren, dass tatsächlich der Werbetrailer Ursache für höhere Arousalwerte ist und nicht ein genereller Time-on-Task-Effekt, werden die beiden Versuchsgruppen (Ad / No-Ad) hinsichtlich des Arousals in der gleichen Zeitphase des Versuchsablaufes verglichen.

c) Die Werbeunterbrechung erzeugt in der post-Ad-Phase niedrigere Werte für Happiness als in der pre-Ad-Phase (nur Ad-Gruppe betrachtet)
Angenommen wird, dass die Freude an der Rezeption des John Wick-Trailers durch die Werbeunterbrechung „getrübt“ wird und somit nach der Werbeunterbrechung niedrigere Werte für Happiness gemessen werden.

d) Die Gruppe „Ad“ hat im Mittel eine höhere Standardabweichung bei der Variable Valenz und Arousal.
Angenommen wird, dass das „Erregungsniveau“ der Probanden in der Ad-Gruppe insbesondere nach der Werbeunterbrechung (post-Phase) höher ist, da die rezipierten Inhalte stark variieren bzw. die Werbeunterbrechung eine „Störung“ in einen Verlauf hineinbringt.

3. Auswertung der Daten / Ergebnisse
Zu Hypothese a) Nach der Werbeunterbrechung (post-Ad-Phase) wurden höhere Mittelwerte für Arousal gemessen als in der Baseline (t (14)=-0,369; p= .008), was für die Beibehaltung der Annahme spricht, dass der Werbetrailer aktivierend wirkt. Der signifikante Unterschied wird in Abb. 2 grafisch dargestellt.

 

Abb. 2: Differenz im Arousal zwischen Baseline und post-Ad-Phase

Zur Hypothese b): Die Werbeunterbrechung erzeugt in der post-Ad-Phase (bzw. der vergleichbaren Phase bei der No-Ad-Gruppe) höhere Mittelwerte für Arousal bei der Ad-Gruppe als bei der No-Ad-Gruppe. Diese Annahme findet sich tendenziell in den Daten, der Gruppenunterschied wird aber statistisch nicht signifikant.

Zur Hypothese c): Die Werbeunterbrechung erzeugt in der post-Ad-Phase niedrigere Werte für Happiness als in der pre-Ad-Phase (nur Ad-Gruppe betrachtet). Die Daten zeigen hier tendenziell ein umgekehrtes Bild: Die gemessene Happiness der Probanden steigt nach der Rezeption des Werbetrailers an (Abb. 3), zeigt statistisch aber keine Signifikanz.

 

Abb. 3: Anstieg der „Happiness“ nach der Rezeption des Werbetrailers

Hypothese d) Die Gruppe „No-Ad“ hat im Mittel eine niedrigere Streuung bei der Variable Valenz und Arousal in der Post-Ad-Phase, was die Daten auch zeigen (Abb. 4).

 

Abb. 4: Vergleich der Streuung vom MW zwischen den Gruppen Ad / No Ad

Betrachtet man den Faktor Messzeitpunkt (3 Stufen, Baseline, Pre-Ad, Post-Ad) in Interaktion mit dem Faktor Gruppe (Ad / No-Ad) am Beispiel der Variable Arousal, so zeigt sich ein signifikantes Ergebnis für den Faktor Messzeitpunkt signifikant (p= .013) und eine
Interaktion Messzeitpunkt x Gruppe signifikant (p= .017). Die untere Abbildung (Abb. 5) macht den „Time-on-Task-Effekt“ bei der No-Ad-Gruppe deutlich und zeigt den Abfall des Arousals während des Action Trailers, während bei der Ad-Gruppe die aktivierende Wirkung der Werbeunterbrechung gemessen werden kann.

 

Abb. 5: Interaktion der Faktoren Messzeitpunkt x Gruppe

Wie gravierend sich der Hornbachspot auf die Rezeption des Trailers John Wick auswirkt, zeigt sich nachfolgend auch in den Ergebnissen einer multiplen Regression. Dabei wurde der Einfluss des Zuwachses oder Sinkens von Valenz, Arousal und der Sympathie in den Blöcken vor und nach dem Hornbach-Spot gemessen und als unabhängige Variable in eine multiple Regression aufgenommen (Bootstrapping). Differenzen in Valenz und Arousal haben keinen Einfluss auf die Sehwahrscheinlichkeit des Films, wobei hier weitere Studien mit größeren Samples erhellendere Erkenntnisse liefern können.

„Hornbach-Werbung schlägt John Wick.“

Ein Anstieg in der eindeutigen Zuordnung der Sympathie zwischen den beiden Zeitpunkten erhöht in der Gruppe ohne Ad die Wahrscheinlichkeit, den Film John Wick sehen zu wollen. Dieses Ergebnis ist durchaus plausibel und deckt sich mit medienpsychologischem Handbuchwissen, wonach wachsende Sympathie in einem positiven Verhältnis zur Nutzungsbereitschaft stehen. Unabhängig vom Vorwissen über „John Wick“ sieht man hier Effekte wirkungsvoller Kommunikationsleistung

Dieser eindeutige Zusammenhang löst sich dagegen in der Gruppe mit Ad auf, die Veränderung in der Sympathie hat keinen Einfluss mehr auf die Bereitschaft, den Film sehen zu wollen, stattdessen macht sich hier die vorhandene Bekanntheit des Films bemerkbar: Die Wahrscheinlichkeit, den Film sehen zu wollen, wird stark davon beeinflusst, ob der Film schon bekannt ist oder nicht, die Kommunikationsleistung des Trailers dagegen reduziert sich.

Tabelle 1: Regressionsanalyse der Gruppe No-Ad

 

Gruppe Modell Regressions-koeffizient B Std.-Fehler Beta T Sig.
Gruppe ohne Ad 1 (Konstante) 2,898 1,807 1,604 ,133
NV – John Wick bekannt? ,246 1,027 ,060 ,240 ,814
Differenz Mittelwert Valenz vor/nach Spot 23,757 17,947 ,387 1,324 ,208
Differenz Mittelwert Arousal vor/nach Spot 7,795 35,676 ,058 ,218 ,830
Differenz Mittelwert Sympathie vor/nach Spot -77,977 30,297 -,699 -2,574 ,023

 

Wahrscheinlichkeit, den Film John Wick zu sehen, 1 – Sehr unwahrscheinlich, 5 – Sehr wahrscheinlich, R-Quadrat = 0,341

Tabelle 2: Regressionsanalyse der Gruppe Ad

 

Gruppe Modell Regressions-koeffizient B Std.-Fehler Beta T Sig.
Gruppe mit Ad 1 (Konstante) 8,186 1,493 5,482 ,000
NV – John Wick bekannt? -3,034 ,801 -,758 -3,790 ,004
Differenz Mittelwert Valenz vor/nach Spot 6,616 9,722 ,375 ,681 ,512
Differenz Mittelwert Arousal vor/nach Spot -29,930 29,848 -,238 -1,003 ,340
Differenz Mittelwert Sympathie vor/nach Spot -,078 4,668 -,010 -,017 ,987

Bekanntheit John Wick 0 = Ja, 1 = Nein, Differenzen= Mittelwerte vor Werbeblock-Mittelwerte nach Werbeblock bzw. dem vergleichbaren Block

4. Erste Erkenntnisse aus der Pilotstudie
Die Pilotstudie konnte zahlreiche erste Erkenntnisse liefern, die in breiteren Folgestudien einfließen können.

„Werbung kann auch in einem starken Umfeld aktivierend wirken. Werbeunterbrechung kann generell aktivierend auf den Rezipienten wirken.“

Werbeunterbrechung kann generell aktivierend auf den Rezipienten wirken, was mit dem TAWNY-Tool mit der Variable Arousal gemessen werden konnte in einem pre-post-Vergleich. Dies entspricht auch den Annahmen der Erregungs-Übertragungs-Hypothese. Ein genereller Time-on-Task-Effekt während des Betrachtens eines Action-Trailers (John Wick) kann hier ausgeschlossen werden, da der o.a. Arousalanstieg nur in der Gruppe beobachtet wurde, die die Werbeunterbrechung eingeblendet bekam, nicht aber in der Kontrollgruppe.
Offensichtlich ist der Inhalt der Werbeunterbrechung von hoher Bedeutung. Entgegen der Annahme, dass eine Werbeunterbrechung generell die Stimmung der Probanden trüben würde, zeigen sich in den Daten sogar höhere Werte für Happiness nach der Werbeunterbrechung. An dieser Stelle muss noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass der Werbespot des Baumarktes offensichtlich als sehr lustig empfunden wurde und Hornbach-Werbung auch zahlreiche Rezeptionen auf You-Tube verzeichnen kann. Hier müsste in einer Folgestudie unbedingt ein neutralerer Werbespot verwendet werden, um die gefundenen Effekte generalisieren zu können.
Dennoch, die offenbar eindrucksvolle Kommunikationsstärke des Hornbach-Spots beeinflusst die positive oder negative Rezeption der Preview des Blockbusters John Wick erheblich. Daraus lassen sich nun verschiedene Konsequenzen ableiten:
1) Der Effekt vom Umfeld auf Werbung wird immer wieder erforscht, starke Effekte sind nachweisbar (Stipp, 2019). Umgekehrte Effekte stehen nachweislich nicht im Forschungsfokus; wenn sie auftreten, belegen sie eindrucksvoll – wie auch hier – Interdependenzen.
2) Wenn die Beziehungen zwischen Umfeld und Spot dermaßen ausschlaggebend sind, stellt sich die Frage nach umfeldadäquater Werbung bei Social Media Werbung (Youtube) verstärkt, denn die Gefahr, hier in Umfelder zu geraten, die der kommunikativen Leistung der Ads abträglich sind, ist durch das programmatic buying massiv.
3) Offenkundig kann man mit wenigen physiologischen Indikatoren die voraussichtliche Effizienz eines Spots oder auch des Umfelds messen. Daraus erwächst für das Tawny-Verfahren prognostische Qualität, um effizient das Wirkungspotential insbesondere von bewegten Werbemittel zu evaluieren.

5. Literatur

Die Autoren:

Dr. Eva Eick, Professorin für Medien- und Wirtschaftspsychologie, HMKW (Köln). e.eick@hmkw.de

Dr. Sven Dierks, Professor für Medien- und Wirtschaftspsychologie, HMKW (Frankfurt). s.dierks@hmkw.de

Gabriel Garrecht, Tawny

Tobias Tiemeier, Tawny