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MäRZ 2017

Ist das Neuromarketing überbewertet? Viele Resultate aus diesem jungen Arbeitsgebiet sind schlicht falsch, dabei erfreut es sich allgemeiner Beliebtheit, hat man doch das Gefühl, dem Konsumenten in den Kopf sehen zu können. Inzwischen ist wohl auch eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil die praktische Anwendbarkeit eher gering scheint.

Verlockend ist die Vorstellung, Konsumenten über Schalter im Gehirn steuern zu können. Seit ca. 20 Jahren erfreuen sich auch im Marketing im Allgemeinen und in der Werbeforschung im Speziellen Verfahren, die Aktivitäten im Hirn anzeigen, die über die im Alltag nützlichen Gehirnaktivitäten hinausgehen. Mit Elektrodenkappen oder – aufwändiger – durch Hirnscan mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI). Die Modellvorstellung, die dem zugrunde liegt, ist die vom Gehirn als einem funktional aufgeteilten Gebilde: An einem Ort wird gefühlt, an einem anderen Ort entsteht Sprache usw.
Erste Studien zum arbeitsteiligen Gehirn wurden an Menschen durchgeführt, die einen Hirnschaden erlitten hatten, bei denen also Teile des Gehirns zerstört waren. Und je nach Ort der Zerstörung konnten Einschränkungen im emotionalen Erleben, in der kognitiven Leistungsfähigkeit oder gar in einer veränderten Persönlichkeit diagnostiziert werden.
Weniger rabiat bieten moderne Techniken Möglichkeiten, dem Gehirn bei der Arbeit zuzusehen, und auf Werbe- und Marketingkongressen erfreuen sich Vorträge zum Neuromarketing großer Beliebtheit. Das konnte bislang auch nicht durch die Forschungsergebnisse von Eklund et. al. (2016) getrübt werden, wonach die überwiegenden Ergebnisse der fMRI aus vielerlei Gründen falsch seien. fMRI-Messungen fürs Neuromarketing dienen Universitätskliniken und den dortigen Chefärzten der Finanzierung ihrer teuren Geräte und bieten auch ein erkleckliches Nebeneinkommen zu Privatliquidationskonditionen – diese Ursache für den Hype ums Neuromarketing soll nun auch einmal am Rande erwähnt werden.

In einem Video zeigt Alan Snyder, wie man Aktivitäten von Teilen des Gehirn verringern kann: Mit überraschenden Ergebnissen

Die etablierten Verfahren der Werbeforschung konzentrieren sich notgedrungen auf die Reaktionsebene, auf der Verhalten und Einstellungen nach dem Kontakt mit der entsprechenden Werbung beschrieben wird. Die mittlerweile unzähligen Pre- und Posttest-Ergebnisse vereinen insgesamt einen hohen Kenntnisstand über die Funktionsweise von Werbung. Man weiß mittlerweile sehr gut, wie Werbung funktioniert (und wo nicht). Meistens ist es schwieriger, Kreative von diesem zugegebenermaßen erdrückenden Wissen zu überzeugen. Gleichwohl entstehen auch immer wieder kommunikative Herausforderungen, die durchaus neue kreative Lösungen erfordern, die so noch nicht getestet wurden. Die Notwendigkeit, auch hirnorganisch nachzuvollziehen, was man auf der Reaktionsebene faktisch weiß, besteht daher nicht, woraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden kann, auf Grundlagenforschung zu verzichten, die dann auch auf der hirnorganischen Ebene ansetzen kann.
Das Gehirn hat Arbeitsschwerpunkte. Es gibt Sinneszentren z.B. fürs Sehen, Belohnung, allgemein sensorische Bereiche. Für die sogenannten Exekutivfunktionen (z.B. Denken, Planen) ist eine spezifische Region im Hirn schwerer zu identifizieren. Hier arbeiten die verschiedenen Hirnregionen mehr miteinander verzahnt.
Etwas überpointiert könnte man daraus schließen, dass Neuromarketing in seiner Vorstellungswelt zwar technisch fortgeschrittener ist, doch eben nur auf der Ebene des Pawlowschen Hundes verbleibt.
Einen Beitrag zur Grundlagenforschung liefert Allan Snyder, Professor und Direktor am Centre for the Mind in Sydney. In dem folgenden Video zeigt er, wie durch Inaktivierung von Hirnarealen, in denen das logische Denken überwiegend stattfindet, die Kreativität einer Testperson deutlich steigt.
„On creativity“

Literatur:
Anders Eklund, Thomas E. Nichols, Hans Knutsson (2016): Cluster failure: Why fMRI inferences for spatial extent have inflated false-positive rates. PNAS, July 12, 2016, vol. 113, no. 28, p. 7900–7905