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APRIL 2017

Auflagenanalyse Spiegel
Effizienz Paid Content
Erfolg Paid Content
Zeitreihe Auflagen

Seit Juni 2016 bietet Der Spiegel Paid Content an. Ausgewählte Artikel aus dem Printheft kann man im Onlineangebot kaufen. Dem Vernehmen nach ist man mit den Erlösen aus den Online-Verkäufen noch nicht glücklich, doch ein Blick in die Auflagenzahlen des Printobjektes weisen darauf hin, dass sich Paid Content Online doch bezahlt machen könnte. Mit Zeitreihenanalysen wurden die Auflagenzahlen des gedruckten Spiegel untersucht, um auffällige Effekte zu finden. Mit Einführung des Paid Content Angebotes schwächt sich der Auflagenverlust des Printheftes ab.

In der Frühzeit des Internet herrschte in den Verlagsetagen die Devise vor, man müsse mit einem hochwertigen Contentangebot im Netz präsent sein. An Paid Content dachte da noch niemand. Zum einen wollte man diesen neuen Kanal besetzen, zum anderen natürlich dem Wettbewerb keinen Alleinauftritt gönnen. Refinanzierungsfragen waren da zwar nicht zweitrangig, aber nach hinten verschoben. Diskutiert wurde auch die Frage, ob attraktive Onlineangebote die profitablen Printauflagen stützen oder womöglich kannibalisieren. Für beide Positionen gab es gewichtige Argumente. Die seit der Jahrtausendwende sinkenden Printauflagen scheinen zumindest diese Frage beantwortet zu haben.

Die andere Frage, nämlich wie man profitable und umsatzstarke Onlineangebote schafft, ist dagegen nicht gelöst. Online-Werbeerlöse lassen zwar Geld im Kasten klingeln, es könnte aber mehr sein. Es ist naheliegend, hier auf Paid Content zu setzen.

Theoretisch könnte Zahlungsbereitschaft für singuläre Informationen vorliegen oder bei einer hohen und exklusiven Bindung des möglichen Inhaltekäufers an das Medium. Beides ist in der heutigen medialen Landschaft jedoch schwer zu erreichen.

Spiegel-Online bietet seit Juni 2016 Artikel aus dem aktuellen Heft zum Kauf auf seiner Seite an. Dieser Handel hat zwei wesentliche Merkmale:

– Die Artikel werden zu einem Teil vor der Bezahlschranke veröffentlicht, wenn man sie weiterlesen will, muss man zahlen,
– Einzelartikel können für 0,39 € erworben werden, erst wenn 5 € kumuliert erreicht wurden, ist die Gesamtzahlung fällig.

Die Spiegelleute nennen das Bierdeckel-Prinzip. Das wirkt zunächst ungastlich, weil, um im Bild zu bleiben, der Wirt zwischendurch vorbeikommt und sein gefürchtetes „Ich kassier‘ dann schon mal ab!“ dazwischenwirft. Gravierender scheint, dass man das System von Laterpay auch relativ leicht austricksen kann. Warum auch immer, dem Vernehmen nach liegen die Umsätze hinter den Erwartungen.

Wie ergeht es dabei eigentlich dem Printobekt? Erhellender ist ein Blick auf die Print-Auflagenzahlen, genauer gesagt: dem „Einzelverkauf Inland“. Dieser Auflagenbestandteil ist der volatilste Auflagenteil, weil er die die Hefte ausweist, die allwöchentlich über die Ladentheke gehen, Abonnements oder Lesezirkel sind, durch langfristige Verträge bedingt, viel stabiler.

Für die Analyse untersuchten wir 81 Heftausgaben zwischen Heft 27/2015 und 2/2107 (die derzeit verfügbaren aktuellsten Auflagenzahlen). Das Paid Content Programm wurde um das Heft 26/2016 eingeführt, also ungefähr Ende Juni 2016. Damit liegen 52 Erscheinungsintervalle vor der Einführung von Paid Content vor und 28 Erscheinungsintervalle danach.

„Die Auflage sinkt konstant, aber…“

Die zunächst ernüchternde Feststellung: Über diesen Zeitraum verliert der Spiegel im statistischen Mittel wöchentlich rund 400 Exemplare an verkaufter Auflage im Einzelverkauf. Schreibt man diesen Verlust in diesem Tempo fort, ist in zehn Jahren Schluss – zumindest, was den Einzelverkauf anbelangt. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist natürlich schon früher Feierabend.

Die verkaufte Auflage des Spiegel im Einzelverkauf sinkt stetig

Allerdings: Unterzieht man die Auflagenentwicklung einer Sequenzanalyse, sieht man eine Auffälligkeit. Bei einer Sequenzanalyse wird eine Zeitreihe in ineinander ähnliche Abschnitte aufgeteilt. Tatsächlich gibt es in der Auflagenentwicklung einen Bruch. Die naheliegende Hypothese ist, dass mit Einführung von Paid Content die verkaufte Auflage noch stärker sinkt, weil der an einzelnen Artikeln interessierte potentielle Käufer das Heft nun schon gar nicht mehr kauft. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Auflagenverlust verringert sich genau zu dem Zeitpunkt, an dem die (teilweise) Umstellung auf Paid Content durchgeführt wurde. In der Abbildung 2) wird der Trend aus der Zeit vor Einführung des Paid Contents fortgeschrieben und dem Trend aus der Zeit nach der Umstellung gegenübergestellt. Der Trend kehrt sich nicht um, aber er wird schwächer. Das lässt den Schluss zu: Ohne Umstellung auf Paid Content wäre der EV heute deutlich niedriger.

Nach Einführung von Paid Content schwächt sich der Auflagenverlust ab

Der mittlere EV-Inland ist vor Einführung der Paid Content Angebote höher als danach (226.000 Exemplare davor gegenüber 217.000 Exemplare danach), denn der Megatrend „Auflagenverlust“ lässt sich nicht aufhalten. Doch er schwächt sich ab! Dafür ist vor Einführung der Paid Content Angebote die Standardabweichung von der mittleren Auflage in diesem Zeitraum auch höher als danach (SD: 21.000 EV-Inland davor ggü. 15.000 EV-Inland danach). Das ist die gute Nachricht: Die wöchentliche Auflagenschwankung reduziert sich mit Einführung der Paid Content Angebote also, und die verkaufte Auflage wird konstanter.

„Verschnaufpause: Mit Einführung der Pay Wall flacht der Auflagenverlust ab“

Damit kann man zwei bemerkenswerte Tatsachen festhalten:

– Mit Etablierung einer Pay Wall zumindest für einige Inhaltsbestandteile flacht der Auflagenverlust ab, und die
– hohe Volatilität einzelner Ausgaben im Einzelverkauf reduziert sich, der Verkauf wird insgesamt konstanter.

Sehr verkürzt kann man aufgrund dieser Daten sagen: Die Einführung einer Pay Wall hatte für den Spiegel positive Effekte auf den Einzelverkauf. Niemand weiß, wie lange der Effekt anhält, aber nun muss man Pay Walls auch unter dem Awareness-Aspekt betrachten und nicht ausschließlich unter dem Aspekt, wie man sinkende Printumsätze durch zusätzliche Onlineverkäufe ausgleichen kann. Paid Content bei einzelnen Artikel Online machen den Kauf des physischen Gesamtheftes plötzlich attraktiv. Nutzer haben eine Art innere Rechenmaschine, die sie entscheiden lassen; hier fließen die realen Kosten, aber auch der vermutete Nutzen der Leistung (Heft bzw. Artikel) und die Akzeptanz der Bezahlformen ein. Möglicherweise kann Print in dieser Konkurrenzsituation gewinnen.

So weitergedacht, kann man einige Stellschrauben entwickeln, die zwar die Onlineumsätze nicht oder kaum erhöhen, dafür aber das immer noch profitable Printgeschäft für eine Weile stützen. Auch wenn man das heute nicht mehr unbedingt denkt: Das Lesen von Printexemplaren hat gegenüber der Onlinelektüre Vorteile, dies mag noch mehr für die potentielle Käuferschaft des Spiegel gelten. Hierzu bedarf es weiterer tiefgehender Analysen.